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Die Exit 24 -  meine Rückkehr

Eigentlich ist es schon entschieden gewesen. Die Ausstellung „Die Engel“ in Wien im Jahr 1994 hatte ich in dem Bewusstsein gemacht, dass damit ein Schlusspunkt gesetzt wird unter meine fotografische Karriere. Nun denn, fünfzehn Jahre später habe ich dann doch wieder mit der Fotografie angefangen. Mehr aus der Trauer heraus nach dem Tod meiner Frau, unternahm ich auf meinen einsamen Reisen fotografische Versuche, das Fotografieren ein Beitrag, meinen Tag zu strukturieren. Es war mehr ein odyseehaftes Herumirren wie mein Reisen, wie mein Leben selbst. Ich fotografierte, ohne zu wissen, was ich fotografieren wollte, für wen ich es wollte, ich konnte mich nicht mal entscheiden ob in Farbe oder wie früher in Schwarz-Weiß. „Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun sollen, dann machen Sie etwas, was Ihnen früher in Ihrem Leben etwas bedeutet hat.“. Dieser Satz, er stammt aus einem Ratgeber über Trauer, schien für mich Sinn machen. Mit den Jahren „sammelte“ ich also ohne klares Ziel Bilder zu verschiedenen Themen. Doch es waren weiterhin zu viele Themen und alles war so offen, dass es keine Richtung gab. 

 

Dann war ich wieder in Treviso, eine Stadt, die neben vielen Schönheiten auch eine Besonderheit bot. Ein winziges Geschäft, in der ein unbekannter Fotograf ein kleines Atelier unerhielt und in zwei Vitrinen Portraits und Hochzeitfotos ausstellte. Ich liebte es, diese Gasse hochzugehen, immer gab es neue Fotos, immer waren sie würdevoll und ansprechend, ungekünstelt, frei von den Lächerlichkeiten und unpassenden Posen der meisten Vertreter dieser Zunft. Dieser Mann lebte zweifellos das (berufliche) Leben, das ich selbst nicht verwirklichen hatte können. Ich war schon so oft dort gewesen, wohl zwanzig, dreißig Mal. Zu meiner Enttäuschung fand ich anstelle der Fotografien nun die Anpreisungen einer Reinigungsfirma. Ich fragte in der gegenüberliegenden Bar. Sie sagten, dass der gute Herr umgezogen sei, aber sie hätten irgendwo ein Buch von ihm. Mit dem Buch saß ich dann eine glückliche Stunde und erkannte viele der Fotografien wieder, die ich hier in den letzten zehn Jahren gesehen hatte. Und weil ich schon mal da war und weil - warum auch immer - ein Buch von Elliot Erwitt in der Bar herumlag, sah ich auch noch dieses durch. Schwarz-weiße Fotos hier und da, Straßenfotos, die in ihrer Weise etwas über das menschliche Leben zu erzählen hatten. Die Fotos spiegelten mir aber auch meine eigenen Arbeiten. Es war so, als hätte etwas in mir den Stecker wieder in die Steckdose gesteckt und damit die Welt meiner Bilder wieder zum Leuchten gebracht. Ich hatte damals ziemlich genau gewusst, was ich fotografieren wolle und was nicht, meine Arbeiten hatten stets einen roten Faden gehabt. Und mit einem Mal war es wieder so. Die fotografische Irrfahrt war mit einem Schlag zu Ende. Danach konnte ich endlich meine Bilder ordnen und sie zu dem machen, was sie mir bis heute sind.  

 

Ich hatte nun mit meiner Bilderwelt eine große Freude. Allerdings dachte ich noch mehrere Jahre nicht daran, sie wieder in einer Öffentlichkeit zu zeigen. Es war damals ein schmerzvoller Abschied gewesen, der mir noch in den Knochen saß. Und ich dachte auch nicht, dass die Welt zu irgendeinem Zeitpunkt ein übergroßes Interesse an meinem Blick auf das Leben gehabt hatte. Und dann geschah, was ich in „Gandalf oder Galadriel“ beschrieben hatte, mein Leben kam ein weiteres Mal an einen Wendepunkt und ich verlor ein wenig die Kontrolle. In den Wirren dieser Situation tat ich dann etwas für mich Ungeheuerliches: Ich bewarb mich für ein Studium an der Fotoakademie Graz. Ein Jahr mit Menschen, die an ihrem fotografischen Ausdruck arbeiteten - das war nicht nur ein Bruch mit meinen bisherigen Gepflogenheiten, es schien eine Geschichte zu sein, die ich für mich mit „Unter Wölfen“ betiteln könnte. Weil ich eigentlich lieber mit Menschen über Fotografien rede, die selber keine machen. Trotz allem, es war ein bewusster Schritt. Ich erhoffte mir in der Zeit eine Antwort auf die Frage zu erarbeiten, ob ich mit meinen Fotos doch noch zurück wollte in irgendeine Öffentlichkeit.

 

Die Zeit an der Akademie, trotz mehrerer interessanter Begegnungen und einer Menge wertvoller Impulse, war ein durchwachsenes Jahr mit vielen Hochs und Tiefs. Mittenhinein kam sie dann, die sogenannte „Exit“ - eine Ausstellung, bei der jeder Studierende ein Bild zeigen sollte. Sollte aber nicht musste. Zuerst dachte ich mir nicht viel, es war eine zu erwartende Situation, ein Bild in einer Masse aus anderen Bildern. Darum empfand ich es vielleicht weniger als eine von mir zu entscheidende Grundsatzssache als mehr ein Programmpunkt in diesem Studium. Trotzdem wollte ich das Brett nicht ganz an der der dünnsten Stelle bohren und wählte ein Bild, dass mir persönlich sehr wichtig ist. Alles änderte sich dann, als dann aus unseren Werken ein Clip gemacht wurde. Ich muss sagen, er war wirklich sehr gut und bestand aus fast allen ausgestellten Bildern, die so im Sekundentakt gezeigt wurden. Ich sah mir den Clip gleich drei Mal hintereinander an. Beim dritten Mal zählte ich die Bilder. Es waren 30, nur etwa fünf Fotografien, darunter meine eigene, kamen nicht vor. Das bescherte mir nicht nur eine ziemlich schlaflose Nacht, es weckte diese tief in mir verwurzelten, schmerzlichen Gefühle meiner ersten Fotokarriere. Diese Welt, sie wollte sich einfach nicht für meine Fotos interessieren.

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Die schmerzlichen Erlebnisse sind oft die, bei denen man am meisten lernen kann. Am Tag der Vernissage war ich mit der Welt wieder ziemlich im Reinen. Auch wenn sich niemand für mein Werk interessieren würde, auch wenn mein Foto in einer unbedeutenden Ecke aufgehängt war, auch wenn es  alles in allem ein vielleicht unbedeutendes kleines Event war: Es war als würde ich den Rubikon überqueren. Nach fast 30 Jahren,war es also doch noch mal soweit gekommen, dass ich ein Foto in der Öffentlichkeit herzeigte und bereit war, mit dem zu leben was das Ereignis mir zutragen würde.

 

Ich fühlte mich dann wohl bei der Veranstaltung, war überrascht, dass es ziemlich viele Bilder gab, die mir gut gefielen. Es waren auch viele Leute da, die sich durch die heiligen Hallen der Akademie drängten. Und ich hatte sogar schon ganz zu Beginn eine nette Begebenheit in Bezug auf mein eigenes Bild. Der Lebensgefährte einer Frau, die mir seinerzeit Bilder abgekauft hatte und diese noch immer in ihrer Wohnung hängen hatte, meinte, dass diese genauso in dem Stil sein würden wie dieses hier ausgestellte Bild. Und dann lasen sie meinen Namen unter dem Bild und sahen die Vermutung bestätigt und dann trat ich auch schon in den Raum und hörte ihre Geschichte. Ich muss sagen, es war schmeichelhaft, dass jemand, der mich nicht kennt, diese Verbindung herzustellen vermochte und er eine mir eigene Bildersprache, die die Jahre überdauert hatte, in ihnen entdecken konnte.

 

Es war ein guter Abend, ich war mit dieser Begebenheit schon mehr als zufrieden, vermied es aber, in den Raum zu gehen wo mein eigenes Bild ausgestellt war. Ich saß dann nebenan am Boden in einer Gruppe. Die meisten waren Studienkollegen, aber es gesellten sich auch einige Besucher zu uns. Neben uns stand auch eine kleine Gruppe ungewöhnlich lange und betrachte ein Bild von Isabella. Und setzte sich schließlich auch. Wir hatten uns alle schon zuvor über ihr Interesse gefreut und Thomas fragte sie nun, was sie an dem Bild so gepackt hatte. Sie sagten es, und dann begann Thomas andere in der Gruppe nach ihrem Lieblingsbild der Ausstellung zu fragen. So kam auch die Frage an eine Frau, die bis dahin noch nichts gesagt hatte. Sie beschrieb ein Bild, das nicht in diesem Raum hing, ein Mann, in dessen Hintergrund ein küssendes Paar war und ein lachendes, darüber ein unbestimmter Himmel. Ein Bild, das wahrscheinlich aus Paris war. Sie sagte, dass sie sehr berührt sei von dem Bild, dass es eine ungewöhnliche Tiefe hätte und weitere Sachen in dieser Richtung. Während viele diesen Mann als einsam empfanden, sagte sie, er habe aufgrund seiner gefassten Ruhe eine besondere Ausstrahlung. Niemand von uns sagte etwas, niemand sagte ihr von wem das Bild war. Sie hatte von meinem Bild gesprochen, ich hätte es nicht besser beschreiben können. Und mir war klar, dass es einer jener Momente war. Das Leben, dieses Schlitzohr, erteilte mir folgende Lektion: Ein Bild machen nur für sich bleibt eine halbe Sache, die erst ganz werden kann in dem Moment, wo ein anderer Mensch davon berührt wird. 

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